Herausforderung Alternde Gesellschaft

Gegen das Vergessen

Die Priavoid GmbH geht neue Wege bei der Wirkstoffentwicklung. Die Vision des Jülicher Spin-offs: Alzheimer heilbar machen.

Schon wieder ist die Brille nicht auffindbar, das Handy verlegt oder der Schlüssel verloren: harmlose Schusseligkeit oder doch nicht? Die Alzheimer-Krankheit beginnt schleichend. Im Anfangsstadium tarnt sich die Demenz oft als normale Altersvergesslichkeit. Doch mit der Zeit verstärken sich die Symptome. Patient:innen erinnern sich immer schlechter, verirren sich in gewohnter Umgebung, haben Schwierigkeiten beim Sprechen. Auch ihre Persönlichkeit kann sich verändern.

Zum Schluss erkennen Betroffene selbst enge Angehörige nicht mehr, haben alltägliche Dinge wie Kauen und Schlucken verlernt. Ein Medikament, das den geistigen Zerfall wirksam stoppen oder gar heilen kann, gibt es trotz intensiver Forschung nicht – noch nicht.

Wissenschaftler:innen des FZ Jülich wollen Alzheimer stoppen

Die Ausgründung Priavoid GmbH möchte das ändern. Und wie es scheint, steht sie kurz vorm Ziel. Das Pharmaunternehmen arbeitet an einem Wirkstoff, der die weltweit häufigste neurodegenerative Erkrankung an der sprichwörtlichen Wurzel packen soll. Der Ansatzpunkt des Medikaments namens PRI-002 ist es, Beta-Amyloid – ein Eiweiß, das ständig im gesunden Körper gebildet wird – in seiner harmlosen Form zu stabilisieren.

Denn im Gehirn von Alzheimer-Patient:innen ballen sich einzelne Beta-Amyloid-Moleküle, sogenannte Monomere, zu Aggregaten zusammen. Diese Oligomere schädigen die Funktion der Nervenzellen. PRI-002 zerlegt sie wieder in harmlose Monomere: ein völlig neuer Wirkmechanismus, der Hoffnung für Millionen Betroffene bedeuten könnte.

Spin-offs des FZ Jülich und ihre Technologien

Wie PRI-002 wirkt: Stabilisierung von Beta-Amyloid

„Bisherige Wirkstoffkandidaten versuchen, die Bildung des Beta-Amyloids bereits in seiner monomeren Form zu reduzieren. Oder sie setzen auf die Hilfe des Immunsystems, um die Oligomere zu bekämpfen“, erklärt Dieter Willbold. „Unser Mittel dagegen greift die krank machenden Oligomere an, ohne auf die Aktivierung der körpereigenen Abwehr im Gehirn angewiesen zu sein.“

"Durch die Alterung unserer Gesellschaft treten neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer immer häufiger auf - ein ernst zu nehmendes Problem."

Prof. Dieter Willbold
Mitgründer Priavoid

Der Strukturbiologe und Mitgründer von Priavoid beschäftigt sich bereits seit 25 Jahren mit den Übeltätern im Gehirn. In den 1990er-Jahren weckt ein biotechnologisches Verfahren seine Aufmerksamkeit: das Spiegelbild-Phagen-Display. Damit lassen sich für jedes beliebige Protein Molekülstrukturen identifizieren, die sich an dieses binden und mit ihm interagieren können. „Einfach gesagt: Aus einer riesigen Sammlung von Schlüsseln finden wir so den passenden, der ein bestimmtes Schloss öffnen kann“, erklärt Willbold.

Wissenschaft online: Prof. Willbold präsentiert die Alhzeimerforschung

Der Clou: Forscher:innen suchen mit dieser Technologie nach Wirkstoffen, die ausschließlich aus synthetischen Bausteinen bestehen, die die exakten Spiegelbilder ihrer im Körper vorkommenden biologischen Pendants sind. Der Vorteil dieses strukturellen Unterschieds? Der menschliche Organismus kann diese Substanzen nicht oder nur sehr langsam abbauen. Kurzum: Sie sind besonders stabil und daher gut als Medikament geeignet.

Menschen vertragen das Alzheimer-Mittel gut

Die Suche nach dem Schlüssel, der die Tür zur Alzheimer-Therapie öffnet, führt Dieter Willbold 2001 an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und an das Forschungszentrum Jülich. Dort nimmt seine Arbeit Fahrt auf. Gemeinsam mit seinen Kolleg:innen optimiert der Biochemiker einen vielversprechenden Wirkstoff immer weiter.

Nachdem Studien mit kranken Mäusen bestätigt haben, dass der Stoff die kognitive Leistungsfähigkeit der Tiere verbessert, zeigt sich nun: Auch Menschen vertragen das Mittel gut. Könnte Willbolds Ansatz gegen die Demenz tatsächlich erfolgreicher sein als alle bisherigen?

Eine Gründung für die Suche nach einem Heilmittel gegen Alzheimer

Sein Vorgänger am Düsseldorfer Lehrstuhl und Mitbegründer mehrerer Biotech-Firmen, Detlev Riesner, animiert Willbold, 2017 den entscheidenden Schritt zu wagen: Gemeinsam mit einem hochmotivierten und erfahrenen Team gründet der heute 58-Jährige Priavoid. Die Firma soll die Entwicklung eines potenziellen Alzheimer-Medikaments weiter vorantreiben. Ihr Name leitet sich ab vom englischen Wort für vermeiden „avoid“ und Prion – so heißen Krankheitserreger, die aus aggregierten Proteinen bestehen.

Detlev Riesner ist übrigens einer der Investoren von Priavoid. Inzwischen erhält die Ausgründung des Forschungszentrums Jülich und der Universität Düsseldorf Unterstützung von der Bundesagentur für Sprunginnovationen, die disruptive Technologien identifiziert und fördert. Priavoid muss jetzt zeigen, dass PRI-002 Alzheimer-Patient:innen wirklich hilft.

Investitionen in die Entwicklung von Therapien sind essenziell

Die Ergebnisse werden spätestens 2026 erwartet. Ob der Befund positiv sein wird? Willbold ist zuversichtlich: „Wir haben die gut begründete Hoffnung, dass Alzheimer besiegt werden kann“, sagt er. „Neurodegenerative Erkrankungen wie diese treten durch die Alterung unserer Gesellschaft immer häufiger auf – ein ernst zu nehmendes Problem. Es ist daher wichtig, weiter in die Entwicklung von Therapien zu investieren.“

SPRIN-D Projekt: Wie die Alzheimersche Krankheit besiegt werden kann

Genau das wird Priavoid künftig tun – und dabei nicht nur Alzheimer ins Visier nehmen. Oligomere bestimmter Proteine sind nämlich auch für die Entstehung anderer Krankheiten verantwortlich, etwa Parkinson. Priavoids innovatives Therapiekonzept könnte auch bei ihnen funktionieren.

www.priavoid.com

Bild: Priavoid/ Michael Englert; Forschungszentrum Jülich/ Sascha Kreklau
Redaktion: SeitenPlan

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Letzte Änderung: 16.08.2023