JET ITER-like Wall

Das Forschungszentrum hat für das weltweit führende Fusionsexperiment JET eine neue Brennkammerwand entworfen und gebaut: die "ITER-like Wall". Sie besteht vollständig aus dem Material mit dem höchsten Schmelzpunkt –Wolfram. Dieses erst bei 3422 °C schmelzende Metall

soll später auch bei ITER eingesetzt werden. Jülicher Wissenschaftler testen ein Erfolg versprechendes Design bereits heute in JET. Der Joint European Torus (JET), der weltweit zurzeit größte Tokamak, ist führend in der Fusionsforschung – vor allem im Hinblick auf den Bau seiner Nachfolger ITER und DEMO. Ursprünglich als metallische Limitermaschine 1984 in Betrieb gegangen, wurde JET in den letzten 25 Jahren mehrfach umgebaut und aktuellen Erkenntnissen angepasst: Nach Einführung einer Grafitwand und Einbau eines Divertors war es 1997 in JET zum Beispiel möglich, Fusionsplasmen mit einer transienten Energieverstärkung von 0,64 in einem 1:1-Gemisch aus Deuterium und Tritium zu erreichen – und so dem "Break Even" sehr nahe zu kommen. Dieser Rekord hat bis heute Bestand: JET konnte damit erfolgreich die physikalische Machbarkeit der Fusion demonstrieren.

Ein Element der äußeren Divertorprallplatte aus massiven Wolframelementen mit Lamellenstruktur, die vom Forschungszentrum Jülich für JET entwickelt wurden.

Allerdings zeigten diese Experimente auch deutlich einige Problematiken bei der Verwendung von Grafit als Wandmaterial auf: starke Erosion und hoher Brennstoffrückhalt – also das Speichern der Brennstoffgase Deuterium und Tritium unterhalb der Grafitoberfläche – sogar in plasmafernen Bereichen wie etwa unterhalb des Divertors oder in Schlitzen zwischen den Grafitkacheln. Die Erosion des Wandmaterials, der Brennstoffrückhalt und Methoden der Reinigung der Ersten Wand zur Wiederfreisetzung des Brenngases bilden seither den Forschungsschwerpunkt bei der Plasma-Wand-Wechselwirkung. Folgerichtig wurde weltweit die Forschung fokussiert, um ein Verständnis für die Materialmigration zu bekommen und um diese zu kontrollieren, Methoden zur Reinigung zu entwickeln, und schließlich um zu Grafit alternative Materialien für die Erste Wand zu finden und zu qualifizieren. Das Forschungszentrum Jülich ist eines der führenden Institute nicht nur in diesem Bereich der Plasma-Wand-Wechselwirkung.

Brennkammer von JET. Links: Grafit-Wand (CFC) im Jahre 2009, rechts die "ITER-like Wall" in 2011: Brennraumwand aus Beryllium und im Bild unten der Divertor mit Wolfram-Lamellen, die vom Forschungszentrum Jülich entwickelt und gebaut wurden.

2006 entschloss man sich in Europa, einen weiteren Umbau an JET durchzuführen, und damit die gesamte Erste Wand aus Grafit – das waren etwa 10.000 Kacheln – durch alternative Materialien mittels Roboterarmen ferngesteuert zu ersetzen. Hierbei wurden, ähnlich wie später bei ITER, überwiegend plasmabegrenzende Komponenten aus Beryllium im Hauptbrennraum installiert. Beryllium ist ein Element, das keine chemische Erosion zeigt und eine niedrige Kernladungszahl aufweist. Ersteres soll zu einem niedrigeren Rückhalt des Brennstoffs bzw. zu einer leichteren Wiederfreisetzung durch Reinigungsmethoden führen, während letzteres zu einer tolerierbaren Verunreinigungskonzentration im Fusionsplasma führt. Beryllium hat aber deutlich niedrigere Zerstörungsschwellen als Grafit im Hinblick auf Wärmelasten und ist daher nicht für die Auskleidung des Divertors geeignet, der für die Leistungs- und Teilchenabfuhr verantwortlich ist. Hier wurde sowohl bei JET als auch bei ITER auf das Element mit dem höchsten Schmelzpunkt (3422 Grad Celsius) vertraut: Wolfram. Dieses Element ist zwar das belastbarste Wandmaterial, das wir kennen, es hat aber leider eine sehr hohe Kernladungszahl. Deshalb sind nur geringste Spuren dieses Elements als Verunreinigung im Brennraum erlaubt, bevor das Fusionsplasma durch zu hohe elektromagnetische Energieabstrahlung erlischt.

Vom Forschungszentrum Jülich für JET entwickelt: ein Endoskop – ein besonderes optisches Beobachtungssystem, das die Wolfram-Verunreinigungskonzentration im Divertor berührungslos messen soll.

Ausschlaggebend sind sowohl die Freisetzung von Wolfram, die durch Materialerosion aufgrund von Verunreinigungen wie Sauerstoff oder Kohlenstoff beim Plasmakontakt verursacht wird, als auch nach seiner Freisetzung die Transporteigenschaften dieses Elements in das zentrale Plasma hinein. In Folge ist es notwendig, plasma-wand-kompatible Szenarien zu entwickeln, die eine zu starke Erosion von Wolfram verhindern und die damit eine zu hohe Verunreinigungskonzentration vermeiden. Die Minimierung der Erosion wird insbesondere durch Strahlungskühlung mit von außen eingebrachten Gasen erreicht, wodurch man unter dem Schwellwert der physikalischen Zerstäubung bleiben kann und so das Material unbeschädigt lässt. Zusätzlich verhindert die Strahlungskühlung im Divertor eine zu hohe Wärmelast auf die Wolframziegel und deren Zerstörung durch Schmelzen.

Wichtig für Wände aus Wolfram: ein schnelles Gaseinlasssystem – das "Disruption Mitigation Valve (DMV)", das im Entstehen begriffene Plasmarandschicht-Instabilitäten einfach ausbläst. Das Forschungszentrum Jülich hat ein solches System für JET entwickelt.

Besonders kritisch bei Wolfram ist der mögliche Einfluss transienter – also kurzzeitiger – Phänomene wie Randschichtinstabilitäten oder Disruptionen. Sie können zur nicht reparablen Zerstörung der Wolframkacheln führen. Eine Kontrolle dieser Phänomene ist unabdingbar, um einen dauerhaften und stabilen Betrieb eines Fusionsreaktors mit Wolframwänden zu gewährleisten. Die Bestimmung der Verunreinigungsquellen von Wolfram, sein Transport, die Entwicklung von Szenarien zum Betrieb mit Wolfram unter Strahlungskühlung, die Kontrolle von transienten Ereignissen (Disruptionen, ELMs) durch gezielten massiven Gaseinsatz, und auch die Untersuchung der Folgen von unkontrollierten Phänomenen auf das Wandmaterial und den Plasmabetrieb sind Schwerpunkte der aktuellen Forschung in Jülich.

Das ITER-like-Wall-Experiment an JET, das den Referenzfall für ITER in dessen aktiver Phase darstellt, hat im September 2011 seinen Betrieb erfolgreich aufgenommen. Bereits in den Jahren 2008 und 2009 wurde an Vorbereitungsexperimenten gearbeitet, um geeignete Konfigurationen und Szenarien zu entwickeln, die kompatibel mit den neuen Randbedingungen sind. Außerdem wurden Referenzszenarien für die kommenden JET-Plasmen entwickelt, um die zu erwartende Reduzierung der Verunreinigungskonzentration von Kohlenstoff sowie die damit einher gehende Reduktion von Brennstoffrückhalt und Materialtransport zu dokumentieren.

Das Disruption Mitigation Valve-System an JET im Einsatz: Oben erkennt man die zunehmende Abstrahlung von Lichtenergie bedingt durch den Gaseinlass, unten sind die wichtigsten Daten des betreffenden Plasmaexperiments an JET aufgezeichnet.

Die weitreichende Expertise des Forschungszentrums Jülich führte zur Beauftragung mit der Konstruktion und Gestaltung der ITER-ähnlichen Wand an JET und zur Stellung des verantwortlichen Projektwissenschaftlers. Das Forschungszentrum war zuständig für die Auslegung der Materialien und deren Belastungsgrenzen, für die Entwicklung geeigneter Komponenten wie etwa des massiven Wolframdivertors für die Bändigung der höchsten Wärmelasten, für deren Test in Plasma-, Ionen- und Elektronenstrahlanlagen, sowie für den Einsatz seiner Expertise im Bereich der Modellierung und Simulation der Erosion und des Betriebs unter Höchstlast. Um den wissenschaftlichen Betrieb zu gewährleisten, ist das Forschungszentrum auch bei Entwicklung und Bau von Diagnostiksystemen federführend, die zur Bestimmung der Erosionsquellen und Verunreinigungskomponenten im Hauptraum und im Divertor dienen. Auch die Messung der elektromagnetischen Abstrahlungen von Verunreinigungen, Bau und Installation eines schnellen Gaseinlasssystems zur Verhinderung und Kontrolle von Disruptionen und die Auslegung von Störspulen zur Unterdrückung von Randschichtinstabilitäten wurden unter Jülicher Leitung voran getrieben.

Das Forschungszentrum Jülich stellt zurzeit einen Taskforce-Leiter bei JET, um genau diese Fragestellungen zu bearbeiten. Insgesamt stellt das FZJ ungefähr 10 Prozent der Mitarbeiter bei JET und ist damit unter den fünf Fusionsforschungsinstituten in Europa, die JET am intensivsten wissenschaftlich nutzen. Bei der nun begonnenen Experimentier-Kampagne, die mit der Inbetriebnahme der ITER-like Wall startete, stellt das Forschungszentrum Jülich mit ungefähr einem Viertel einen beträchtlichen Anteil der wissenschaftlichen Experimentleiter.


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Dr. Sebastijan Brezinsek

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Letzte Änderung: 20.09.2022